Autor: Tina Eißner (Seite 1 von 3)

Was machte Luther zum Ketzer

Im 16. Jahrhundert breiteten sich, ausgehend von den reformerischen Bemühungen des 15. Jh., reformatorische Ideen verstärkt in etlichen Ländern Mittel-, West- und Nordeuropas aus und schwächten die Autorität der katholischen Kirche. Dabei waren es in vielen Fällen keine reinen Volksbewegungen, die den Anstoß gaben – auch wenn die reformatorischen Ideen ohne die breite Akzeptanz und Sympathie in der Bevölkerung nicht eine solche Tragkraft hätten erlangen können – sondern einzelne Personen, oft Mitglieder des Klerus,[1] die sich zunehmend von gewissen Praktiken und Lehren der katholischen Kirche distanzierten und mit der von ihnen geäußerten Kritik in breiten Kreisen der Gesellschaft auf Zustimmung stießen.

Wie auch mittelalterliche Kleriker vor ihm, die in Widerspruch zur katholischen Lehre und Praxis gerieten, etwa John Wyclif und Jan Hus,[2] wurde Luther als Häretiker deklamiert und gebannt. Aber wie auch bei Wyclif und Hus war diese Entwicklung weder vorgegeben noch vorhersehbar, denn Luther war nach eigenen Angaben „ein frommer Mönch“[3] gewesen und ein treuer Sohn der Kirche, der bei seiner Ankunft in Rom 1510 ausgerufen haben soll: „Sey mir gegrüßt, du heiliges Rom!“[4] Er war einer, der eine juristische Laufbahn aufgab, um 1505 gegen den Willen des Vaters im Erfurter Kloster der Augustiner-Eremiten um Aufnahme zu bitten, 1506 regulärer Mönch wurde, 1507 die Priesterweihe erhielt, danach Theologie studierte, schon seit 1508 Vorlesungen hielt und 1512 in Wittenberg zum Doktor der Theologie promoviert wurde, eine Professur an der Universität Wittenberg innehatte sowie weitere Ämter[5], und im Predigtdienst stand. Ein „rascher Aufstieg in der Ordenshierarchie, insbesondere bei einem so verhältnismäßig jungen Mann“.[6]

Doch der „Absturz“ folgte rasch. Schon Anfang 1518, kurz nach der Veröffentlichung seiner 95 Thesen, erhob sich Widerstand gegen Luther und er wurde als Ketzer bezeichnet.[7] Am 15.6.1520 wurde die Bannandrohungsbulle veröffentlicht und am 3.1.1521 von Leo X. in der Bulle Decet Romanum Pontificem über Luther der Kirchenbann ausgesprochen. Im Mai 1521 verhängt Kaiser Karl V. die Reichsacht über ihn. Aus dem Mönch, Priester, Doktor der Theologie und Theologieprofessor wurde nun „der böss veinde in gestalt eins menschen mit angenomer münchskuten, manicher ketzer aufs höchst verdampter ketzereien […]“[8].

Doch was machte ihn dazu? Was warf man ihm vor? Dabei sollen nicht die Ereignisse und Entwicklungen beleuchtet werden, die Luther in Widerspruch zur akzeptierten katholischen Lehre und Praxis brachten, sondern es soll kurz angerissen werden, welche grundsätzlichen Haltungen und Herangehensweisen man ihm als ketzerisch vorwarf.

Es war nicht bloß Kritik an den Missbräuchen in der Kirche, nicht bloß der Ruf nach einer Reform, was ihn zum Ketzer machte – es war das Aufstellen, Aufrechterhalten und Verbreiten neuer Lehren (trotz Verbot), die sich auf die Bibel beriefen und gleichzeitig den Lehren der Kirche, die ja für sich in Anspruch nahm, der Bibel Kraft und Geltung zu verschaffen (sie also richtig auszulegen),[9] widersprachen. Denn diese „Gegenlehren“ führten zu Spaltungen, zerstörten das Monopol der Kirche in Sachen Religion, machten dem Papsttum Anhänger abspenstig und schwächten seine Autorität, kurz gesagt, sie bedrohten die kirchliche Machtposition. Was Luther zum Ketzer machte, war seine Weigerung, die Bibel gemäß der „Lehre der römischen Kirche und des römischen Pabstes […]“[10] auszulegen, das Pochen auf das Recht, sie selber auszulegen, auch abweichend von der kirchlichen Interpretation, sowie der Anspruch, seine Interpretation biblischer Aussagen auch als Maßstab an Kirche und Papst anzulegen.

Kupferstich von Lukas Cranach d.Ä., Luther mit dem Doktorhut, 1521.

Das führte dazu, dass Luther die Lehrautorität von Kurie, Konzilien und Papst ebenso ablehnte wie andere Kompetenzen, die dem Papst und den Konzilien zugesprochen wurden, wie bspw. die Binde- und Lösegewalt des Papstes über den Tod hinaus oder die Wirksamkeit der Verdammung und Exkommunikation durch den Papst. So warf Luther dem Papst, der Kurie und den Konzilien (je länger je mehr) Irrtümer, falsche Ansprüche und Lehren vor, bis hin zu dem Vorwurf, der Papst sei der Antichrist, der Widersacher Christ und nicht der von Gott eingesetzte, legitime Stellvertreter Christi auf Erden. Dazu weigerte er sich, die Irrtumslosigkeit der Konzilien und Päpste anzuerkennen, die zwar 1518 noch kein offizielles Dogma war,[11] von Prieras aber in dem Bemühen, einen Maßstab für Rechtgläubigkeit aufzustellen, 1518 in seiner Schrift De potestate papae dialogus de facto konstatiert wurde, auch, um eine Handhabe gegen Luther zu haben.

Danach hatte Luther, aus Sicht seiner Gegner, „eine schlechte Meinung in Betreff einer Wahrheit der Schrift […]“, zumindest gemäß der Auslegung der Kirche, und betreffs der Lehre und Handlungen der Kirche.[12] Laut der Bannandrohungsbulle war Luther ein Ketzer, weil er aus niederen Motiven eine von der Kirche abweichende Bibelauslegung, ein altes Merkmal der Ketzer, hervorbrachte.[13] In Decet Romanum Pontificem wurde ihm im Verein mit anderen „Bösen“ vorgeworfen, sich „neue und falsche Glaubenssätze auszudenken […] in Gottes Kirche Spaltungen hineinzutragen oder die Schismatiker selbst zu begünstigen […] die Einheit des Glaubens zu zerreißen […]“, was er bewerkstellige, indem er durch „Lügen und heimtückische Listen das einfache Volk täuschen, mit sich in denselben Irrtum und dasselbe Verderben ziehen […]“[14] würde. Diese Lügen, die abweichenden Lehren, waren vielfältig und berührten unterschiedliche theologische Bereiche, wie man gut anhand des Dialoges von Prieras und der Bannandrohungsbulle sehen kann. Etliche davon aber richteten sich gegen Autoritäts- und Kompetenzansprüche des Papsttums, welche sich wiederum in vielen Fällen auf neutestamentliche Texte stützten.[15]

Weil Luther sich jedoch bei der Widerlegung dieser Ansprüche auf seine Auslegung der Bibel sowie sein Urteil stützte, während die römisch-katholische Kirche sich als der „Hort“ der Wahrheit und des richtigen Schriftverständnisses ansah,[16] und eine allgemein verbindliche Bibelauslegung und Definition dessen, was „gesunde“ christliche Lehre sei, gewissermaßen als göttlich verliehene Prärogative betrachtete (was Luther negierte [17]), entstand ein Autoritätskonflikt, den die Kirche für sich löste, indem sie Luther zum Ketzer erklärte. Das schwingt auch in Leos X. Breve vom 8.7.1520 an Friedrich den Weisen mit, worin steht, Luther habe sich in einen so zügellosen Wahnsinn hineingesteigert, dass er in seinen Verkündigungen einzig und allein seine eigene Autorität, sein Urteil, sein Schriftverständnis allen anderen Verlautbarungen von Universitäten, Kirchenlehrern, ökumenischen Konzilien oder Päpsten vorangestellt.[18]

Da die römische Kirche einen Großteil ihres Vollmachtanspruchs auf Texte aus dem NT stützt, rüttelte darüber hinaus der Vorwurf Luthers, dass gewisse kirchliche Interpretationen biblischer Texte falsch seien, sie sich Kompetenzen und Machtansprüche ohne wirkliche göttliche (resp. biblische) Legitimation angemaßt habe, nicht nur an ihrem Selbstverständnis, ihrer Würde und Autorität, sondern auch an den Grundfesten ihrer Macht. Deshalb war Luther so gefährlich für die Kirche, viel gefährlicher als bloße Kritiker von Missständen. Wenn Luther auch anfangs nur Missstände kritisiert und an eine Reform gedacht hatte, so veränderte sich seine Sicht auf Kirche und Papst, ausgehend vor allem von seinem sich wandelnden Bibelverständnis, innerhalb weniger Jahre derart, dass er bald das Papsttum als Ganzes in Frage stellte und den Papst als Antichristen bezeichnete. Und da Luther nicht schweigen wollte, auch einen Widerruf verweigerte und seine verbalen Angriffe im Gegenteil immer furcht- und kompromissloser gegen das Papsttum fuhr, wurde er in dessen Einschätzung zum Häretiker, „tausendmal schlimmer als Arius, der Erzketzer der Spätantike“.[19]


Autor: Tina Eißner, Auszüge aus einer wissenschaftlichen Arbeit, vorgelegt an der Fernuniversität Hagen, 2022, im Masterstudiengang „Geschichte Europas“.


[1] Beispiele sind Luther, Zwingli und Calvin. Sowohl Luther als auch Hyldrych Zwingli hatten die Priesterweihe empfangen, Calvin erhielt einen Teil einer Pfründe der Kathedrale von Noyon und gehörte dadurch zum Klerus. Luther und Zwingli hatten Theologie studiert, Calvin „nur“ die septes artes liberales an der Universität von Paris, wonach er ursprünglich Theologie weiterstudieren sollte, dann aber zu Jura wechselte.

[2] Jan Hus hatte Theologie studiert und wurde zum Priester geweiht, ebenso wie John Wyclif.

[3] Johann Georg Walch (Hg.): Dr. Martin Luthers sämmtliche Schriften (2. Aufl.), Bd. 19, St. Louis 1907, Sp. 1845.

[4] Leopold Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Bd. 1, Berlin 1839, S. 299.

[5] Helmut Diwald, Luther. Eine Biographie, Bergisch Gladbach 1984, S. 82f.

[6] Diwald, Luther, S. 60.

[7] Siehe u.a. Köpf, Ulrich: Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Bd. 3. Reformationszeit 1495-1555, Stuttgart 2001, S. 119.

[8] Deutsche Reichstagsakten. Jüngere Reihe, Bd. 2, Gotha 1896, S. 640-659, hier S. 648.

[9] Walch 18, Sp. 314.

[10] Ebd.

[11] Volker Reinhardt, Luther, der Ketzer: Rom und die Reformation, München 2016, S. 91.

[12] Walch 18, Sp. 315.

[13] Walch 15, Sp. 1429.

[14] Köpf, Geschichte, S. 163.

[15] Bspw. die These der Vorrangstellung des Petrus (unter den Jüngern), die sich vor allem auf Mt 16,18-19 stützt und eine der Grundlagen für die später vom römischen Bischof, aus dessen Amt das Amt des Papstes hervorging, beanspruchte Vormachtstellung war.

[16] Siehe die Grundsätze des Prieras, Walch 18, Sp. 314f.

[17] Er verwarf die Lehrautorität des Papstes und der Konzilien und lehrte, dass jeder die Bibel selber auslegen könne, weil Gott die Gläubigen durch den Heiligen Geist dazu befähige.

[18] Reinhardt, Luther, S. 126.

[19] Ebd., S. 147.

Entführung auf die Wartburg

Am 4. Mai 1521, fast genau vor 500 Jahren wurde Martin Luther auf Betreiben des sächsischen Kurfürsten Friedrich der Weise während der Rückreise von Worms nach Wittenberg in Thüringen »abgefangen« und auf die Wartburg gebracht. Die Aktion war so geheim, dass nicht einmal der Kurfürst wusste, wo Luther war (doch Friedrichs Sekretär Spalatin war eingeweiht). Luther auf dem nun nicht nur der päpstliche Bann sondern auch die kaiserliche Reichsacht ruhte, war zu dieser vogelfrei. Ihm zu helfen war bei Strafe untersagt, jedermann konnte ihm ungestraft etwas anhaben. Friedrichs Leute, angeführt von den Rittern Burkhard Hund von Wenkheim und Hans Sittich von Berlepsch, nahmen ihn in der Nähe der Burg Altenstein bei Bad Liebenstein »gefangen«, und brachten ihn unerkannt zur Wartburg, die damals zum Gebiet des sächsischen Kurfürsten gehörte. Die abgebildete Szene soll das Einrollen des Fluchtwagens über die heruntergelassene Zugbrücke darstellen. Der Fluchtwagen selber wurde vor ein paar Jahren nachgebaut und 2017 auf der Wartburg ausgestellt. Er diente als Vorlage für die folgende Zeichnung.

Illustration (Ausschnitt) zu dem Buch »Je mehr jene drohen, desto getroster bin ich«

Diese gespielte Entführung war so gelungen, dass selbst Freunde und Sympathisanten Luthers, zu denen auch Albrecht Dürer gehörte, anfangs meinten, der Reformator sei von seinen Feinden gefasst wurden. Während in der ersten Zeit seines Wartburgaufenthaltes noch Bestürzung und Unsicherheit bezüglich seines Verbleibs herrschten, häuften sich in den Monaten darauf die Anzeichen, dass er wohlauf und aktiv wie eh und je sei. Briefe waren es, welche er insbesondere Freunden, Sympathisanten und Mitarbeitern schrieb, die Zeugnis gaben von seinem ungebrochenen Mut und seiner Schaffenskraft. Gerade als die Zwickauer Propheten im Winter 1521/22 in Wittenberg auftauchten und dort für viel Unruhe und auch Ratlosigkeit sorgten, waren es Luthers Briefe und letztlich auch sein persönliches Kommen, die halfen, diese ernste Krise innerhalb der Reformation zu überwinden. Seine Invocavit-Predigten im März 1522 wehrten dem Einfluss der schwärmerischen Propheten, die ansonsten nicht nur den Wittenbergern, sondern auch der Reformation selber durch ihre überspannten und gefährlichen Ansichten viel Schaden zugefügt hätten.


Die Wartburg selber, die auch der obigen Illustration als Vorlage gedient hat, sah vor 500 Jahren deutlich anders aus. Das Erscheinungsbild der heutigen Wartburg geht auf die Restaurationsbemühungen des Großherzogs Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach zurück. 1838 wurde der Eisenacher Baurat mit der Untersuchung der Überreste beauftragt. Ab 1853 wurde sie unter der Leitung des Architekten Hugo von Ritgen wiederaufgebaut.

Tina Eißner

Luther Biografie

AlterJahrEreignis
0148310. Nov: Geburt in Eisleben, neun Geschwister.
01484Umzug nach Mansfeld.
41488bis 1497 Mansfelder Lateinschule.
131497Magdeburger Domschule.
141498Pfarrschule zu St. Georgen in Eisenach.
171501Studium an der Universität Erfurt, Grundkenntnissen in den sieben freien Künsten (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie)
181502Gründung der Universität Wittenberg durch Friedrich III. den »Weisen« von Sachsen (1463-1525)
211505Abschluss der akademischen Grundausbildung mit dem »Magister artium«, will mit dem Jurastudium fortsetzen.
2. Jul: auf Rückweg nach Erfurt: schweres Gewitter, Ver-sprechen an Heilige Anna: »Ich will ein Mönch werden«
17. Jul: Eintritt ins Augustiner-Kloster in Erfurt.
23150727. Feb: Weihe zum Diakon; 4. Apr. Weihe zum Priester.
251508ab Herbst: Auf Empfehlung seines Beichtvaters Johann von Staupitz (1465-1524): Theologiestudium in Wittenberg.
Maximilian I. (1459-1519) wird römisch-deutscher Kaiser.
271510Beichtreise nach Rom.
28151218. Okt: »Doctor theologiae« in Wittenberg.
Lehrstuhl »Lectra in Biblia«; Psalmen und Paulusbriefe.
Ab dieser Zeit Erkenntnis des Prinzips der Gerechtigkeit aus Gnade durch Glauben (Röm 1,17)
301514Distriktvikar, Visitationsreisen in kursächsische Klöster.
321516Predigten gegen die Ablasspraxis.
33151731. Okt: Thesenanschlag, Schlosskirche in Wittenberg.
34151812.-14. Okt: Reichstag zu Augsburg. Aufforderung zum Widerruf. Luther kann fliehen.
351519Kaiser Maximilian I. stirbt. Sein Enkel Karl V. (1500-1558) wird zum römisch-deutschen König gewählt.
4.-14. Jul: Leipziger Disputation mit Johannes Eck.
361520Luther veröffentlicht seine wichtigsten Schriften.
15. Jun: Bannbulle.
3715213. Jan: exkommuniziert.
17. Apr: Reichstag zu Worms: »Wenn ich nicht durch die Heiligen Schriften und klare Vernunftgründe überführt werde, dass ich geirrt habe, kann und will ich nicht widerrufen. Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen!«
4. Mai Entführung auf dem Heimweg auf die Eisenacher Wartburg.
Herbst: Übersetzung des NT ins Deutsche in 11 Wochen
Bis 1534 Übersetzung des AT.
1. Dez: Papst Leo X. (1475-1521) verstorben.
3815229. Jan: Hadrian VI. (1459-1523) zum Papst gewählt.
ab 1. Mrz: Rückkehr nach Wittenberg.
39152318. Nov: Clemens VII. (1478-1534) zum Papst gewählt.
401524bis 1562 Bauernkriege.
9. Okt: Lebensform als Mönch aufgegeben.
41152527. Jun: Hochzeit mit Katharina von Bora, ehemalige Nonne, gemeinsam 6 Kinder.
29. Okt: erste Messe in deutscher Sprache.
45152915. Mrz bis 22. Apr 2. Reichstag zu Speyer: Protest der evangelischen Reichsstände.
1.-4. Okt: Religionsgespräche mit Zwingi.
46153025. Juni Reichstag zu Augsburg, Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana) wird erlesen.
47153127. Feb: Gründung des »Schmalkaldischen Bundes«
581542Luther schreibt sein Testament.
62154618. Feb.: Verstorben in Eisleben, beigesetzt in Wittenberg.

Verfasser: Thomas Eißner
Illustration: Tina Eißner

Luther vor dem Reichstag

Am 17. und 18. April 1521, stand Martin Luther vor dem Reichstag zu Worms, wo er sich für seine Schriften verantworten musste. Dieser Reichstag, der am 27. Januar 1521 in Worms eröffnet wurde und am 26. Mai mit dem Reichstagsabschied endete, war für die deutschen Fürsten und Stände die erste Gelegenheit, ihren jugendlichen Kaiser kennen zu lernen. Karl V., geboren am 24. Februar 1500, war erst am 23. Oktober 1520 im Aachener Dom gekrönt worden und nun erstmalig als Kaiser auf einem Reichstag anwesend.

Er, der dem sächsischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen zu einem nicht unwesentlichen Teil seine Krone verdankte, hatte den Kurfürsten angewiesen, Martin Luther mit zum Reichstag zu bringen. Diesem wurden kaiserlicher Schutz und eine freie Besprechung der strittigen Punkte mit kompetenten Personen zugesagt. Luther war bereit, vor dem Kaiser zu erscheinen. Doch der päpstliche Legat Aleander, wohl wissend, dass eine Untersuchung zu einem Fall, in dem der Papst bereits das Verdammungsurteil gesprochen hatte, eine Geringschätzung der Autorität des Papstes bedeutete, tat sein Möglichstes, um Luthers Erscheinen in Worms zu verhindern. Aber all seinen Bemühungen zum Trotz wurde Luther schließlich vorgeladen. Der Herold Kaspar Sturm überbrachte den kaiserlichen Befehl und geleitete Luther im April 1521 nach Worms.

Doch selbst danach gab es Bestrebungen, das Erscheinen Luthers auf dem Reichstag zu verhindern – nicht nur von Seiten der Feinde Luthers, die ihm Angebote machten, den Streit anderswo beizulegen, sondern auch von seinen Freunden, die um seine Sicherheit bangten. Luther jedoch durchschaute die Situation. Er erkannte, dass sein Erscheinen auf dem Reichstag der Sache der Wahrheit förderlich sein würde und war bereit, zu gehen, koste es was es wolle.

Am 16. April 1521 erreichte Luther die Stadt Worms. Sein Erscheinen erregte die Neugier und Aufmerksamkeit aller Volksschichten. Nicht einmal der Kaiser konnte sich rühmen, von so vielen Menschen empfangen worden zu sein. Die Leute strömten auf die Straßen, um den Mönch zu sehen, der es wagte, sich der Autorität des Papstes zu widersetzen.

Am folgenden Tag, dem 17. April, geleitete man Luther vor den Reichstag. Dort wurde er zum Widerruf aufgefordert. Statt jedoch sofort zu antworten, erbat er sich eine eintägige Bedenkzeit, die ihm auch gewährt wurde. Seine Rede, die er am 18. April sowohl auf Deutsch als auch in Latein hielt, erregte nicht nur die Bewunderung seiner Anhänger. Selbst der Kaiser war beeindruckt von seiner Unerschrockenheit. Doch an seiner Entscheidung änderte dies nichts. Am Tag nach Luthers Rede gab Karl V. dem Reichstag in Form einer handschriftlichen Notiz zu verstehen, wie er in Luthers Fall vorzugehen gedachte. Er machte deutlich, dass er gemäß der Tradition seiner Vorfahren ein Förderer und Unterstützer der römisch-katholischen Kirche bleiben wolle und Luther wie einen Ketzer behandeln werde.

»Sie wissen, dass ich von den allerchristlichsten Kaisern der edlen deutschen Nation abstamme, von den Königen Spaniens, den Erzherzögen Österreichs und den Herzögen Burgunds. Sie alle waren bis zu ihrem Tod treue Söhne der römisch-katholischen Kirche, Verteidiger des katholischen Glaubens, der heiligen Zeremonien, Dekrete, Beschlüsse und heiligen Bräuche zur Ehre Gottes, der Verbreitung des Glaubens und dem Heil der Seelen. Nach ihrem Dahinscheiden sind uns gleichsam als natürlichem Recht und Erbe die besagten heiligen katholischen Satzungen überlassen wurden, um dafür zu leben und zu sterben, nach ihrem Vorbild; und als wahre Nachahmer dieser unserer Vorfahren haben wir durch die Gnade Gottes bis heute gelebt. Aus diesem Grund bin ich fest entschlossen, alles zu bewahren, was meine besagten Vorfahren und ich gehalten haben bis zum heutigen Tag; insbesondere, das, was von meinen Vorfahren beschlossen wurde auf dem Konzil von Konstanz und anderen. Denn es ist sicher, dass ein einziger Bruder in seiner Meinung irrt, die gegen die gesamte Christenheit steht, von vor mehr als tausend Jahren bis heute. Gemäß dieser Meinung befände sich die ganze Christenheit im Irrtum und wäre es schon immer gewesen. Deshalb bin ich fest entschlossen, hierfür meine Königreiche und Lehnsherrschaften, meine Freunde, meinen Körper, mein Blut, mein Leben und meine Seele einzusetzen … Ich gebiete, dass er unverzüglich nach der Vorschrift des Befehls heimgeleitet werde, gemäß dem Wortlaut des freien Geleits, ohne dem Volk zu predigen oder es zu ermahnen mit seiner falschen Lehre, und ohne Aufruhr zu erregen. Und wie ich es euch bereits gesagt habe, bin ich entschieden, gegen ihn wie gegen einen offenkundigen Ketzer vorzugehen und ersuche euch, dass ihr euch in dieser Sache als gute Christen erklärt und dementsprechend handelt und auch gemäß dem, was ihr mir versprochen habt. Eigenhändig geschrieben am 19. April 1521. Gezeichnet: Karl.« (Übersetzung aus dem Franz.: Tina Eißner)

Diese Notiz, handschriftlich und auf Französisch abgefasst, kann man in den Deutschen Reichstagsakten. Jüngere Reihe. Band 2, auf den Seiten 595 bis 596 nachlesen. Sie kommt einer Regierungserklärung gleich, die der Kaiser auch allen Widerständen zum Trotz bis zu seinem Tode verfolgt hat.

Doch noch gaben Luthers Feinde nicht auf. Nach dem Verhör vom 17. und 18. April gab es weitere Vermittlungsversuche, die ihn zum Einlenken und Widerruf bewegen sollten. Als sich seine Widersacher jedoch überzeugt hatten, dass weitere Gespräche fruchtlos seien, wurde Luther am 25. April dazu aufgefordert abzureisen, was dieser dann auch am 26. April 1521 tat.

Text & Illustration: Tina Eißner